20.08.03: Heute führt uns der Weg von der Mittelbalje wieder zum ‚Hohen Weg’. Gegen 10.30 h haben wir noch 60 cm Wasser, das Niedrigwasser soll heute 60 cm über normal liegen. Erst um 11.30 h verlassen wir die Burchana über die Bordleiter und waten durch zunächst knietiefes Wasser auf die trockenfallende Fläche. Bei ablaufendem Wasser führt unser Transekt, auf dem wir in Abständen von mehreren hundert Metern Kontrollpunkte mit genauer Positionsbestimmung festlegen, über das scheinbar endlos sich hinziehende Watt an der Mittelbalje. Nirgends auch nur ein Rest an Seegras-Horsten. Statt dessen finden wir kleinere Ansammlungen von Schill, Reste von Muschelbänken der Sandklaffmuschel Mya arenaria.
An einzelnen Stellen fallen wieder die grünen Nester der Euglena-Flagellaten in Auge; auch eine schmalfaserige Grünalgenart treffen wir auf unserem Weg an. Von fern tönt der Ruf eines Regenbrachvogels, später auch das melancholisch klingende Trillern des Großen Brachvogels. Im Norden unserer Wegstrecke rasten Hunderte von Silbermöwen auf einer langgezogenen Sandbank. Etwas weiter hat sich eine größere Gruppe Austernfischer versammelt. Das Wetter hat sich unerwartet gut entwickelt, am späten Mittag kämpft sich die Sonne durch. In Wasser- und Schluff-getränkten Leinen- bzw. zweckentfremdeten Surfer-Gummischuhen, stapfen wir vier Stunden durch das teils sandige, teils schlickige Watt; je nach Dicke der Schlickschicht sinkt man bis zum Knöchel, bis zur Wade oder bis zum Knie ein. Im letzteren Fall kostet es beim Gehen viel Kraft, das Bein mit einem schmatzenden Geräusch aus dem Schlick zu heben; wenn man Pech hat, und Leinenschuhe trägt, bleibt der Schuh dabei auch gern in der schwarzbraunen Masse stecken. Wir queren Schillfelder (Foto) aus Bruchstücken von Mya-Muscheln, die teilweise noch in Lebendposition im Untergrund stecken, sowie flache Lachen aus Restwasser und kleinere Priele. Zwei zu einem Rechteck verbundene, Transekte ergeben eine Laufstrecke von ca. 10 km. Zu meinem Erstaunen und Befremden hat unser Watt-Experte Hermann übersehen, dass wir zu weit östlich geraten sind, und nun ein etwa 20-30 m breiter Priel, der schon brusthoch reißendes Wasser führt, uns von der sicheren Seite trennt. In der Tat befinden wir uns auf einer Sandplate, die in kürzester Zeit vom auflaufenden Wasser erreicht werden wird, und deren inselartige Restfläche in beängstigendem Tempo zusammenschrumpft (Foto). Ich greife zum Handy, und zu meinem Schrecken bekomme ich bei zwei Versuchen keine Verbindung zur Burchana. Obwohl die Besatzung uns bei unseren Wattgängen - soweit möglich – im Auge behält, ist nicht zu erkennen, ob Anstalten getroffen werden, das Beiboot zu Wasser zu lassen. Endlich, im dritten Versuch, klappt die Verbindung, so dass wir unseren Notruf absetzen können. Zwar tragen wir wie immer im Watt Rettungswesten, doch Kamera und die sonstigen Geräte mögen kein Salzwasser, und reichlich mulmig wird mir doch in dieser Situation. Bis das Schlauchboot zu Wasser gelassen ist, und der Bootsmann-Maschinist Dieter – durch den Verlauf der Priele zu Umwegen gezwungen – in schneller Fahrt unsere immer kleiner werdende „Insel“ erreicht hat, stehen wir mit den Füßen schon fast im Wasser. Im Priel ist die Strömungsgeschwindigkeit so gestiegen, dass ein Durchqueren nicht mehr möglich gewesen wäre. Schließlich kommen wir, zwar partiell nass, aber „sano y salvo“ wieder an Bord der Burchana – bereit zu neuen Abenteuern. An Bord gibt es heißem friesischen Tee, Kekse, Marmorkuchen und von mir gestiftetes Niederegger-Marzipan. Das zweite Team, bestehend aus Maike und Katrin, war bereits vor uns problemlos zur Burchana zurückgekehrt.
Hier enden die Notizen. Unvergessen bleiben mir die Sonnenaufgänge und das abendliche Licht, wenn die ersten oder letzten Sonnenstrahlen ihr gleißendes Licht über die feuchten Sandrippeln und die Restwasserflächen streuen (Foto); die scheinbar grenzenlose Weite, das ständig wechselnde Licht zwischen Himmel, Horizont und Wattenmeer, die im Tageslauf wechselnden Wolkenbilder… das alles bleibt in der „Schatztruhe“ der Erinnerungen bewahrt