18.08.03: Im Gegenlicht, vor der noch tief stehenden Morgensonne, erblüht die orange-rote Gardine (Foto) im „Kunstzimmer“, meinem derzeitigen Schlafzimmer, zu einem intensiven Leuchten – bestimmt kein schlechtes Omen für einen neuen Tag unter ostfriesischem Licht. Ausgehend von der Deichseite, stapfen wir – ausgestattet mit Gummistiefeln, Eimern, Spaten und Plastiktüten – zur Entnahme von Seegras-Bioproben auf das trockengefallene Watt. Unser Zielort ist der bereits 1679 eingedeichte Mandepolder. Es gilt, Dichtebonituren durchzuführen und Seegras-Proben (Zostera noltii) zur Bestimmung der Biomasse zu entnehmen. Zunächst wird auf gut entwickelten Seegras-„Beeten“ eine % -Dichte-Bonitur durchgeführt. Dabei wird der Bedeckungsgrad auf der Gesamtfläche und verschiedenen Teilflächen ermittelt. Zur Probenahme (Foto) wird ein Stechzylinder auf randomisiert verteilten Abschnitten ca. 15 cm tief in den Boden eingedrückt und seitlich dann soweit freigegraben, dass er herausgehoben werden kann. Der Kern wird nun vom Zylinder gelöst, und von seiner Oberfläche zunächst eine ca.1 cm dünne Scheibe mit dem Blattmaterial abgetrennt; der Bodenanteil wird auf einem Sieb ausgewaschen, die verbleibende Blattmasse für die Bearbeitung eingetütet. Anschließend wird der tiefere Teil des Kerns mit den Stolonen und dem Wurzelanteil von Z. noltii auf ca. 10 cm abgetrennt, der Boden wiederum ausgewaschen, und das vegetative Material separat verwahrt. Später steuern wir mit meinem altgedienten Audi – via Esens – Wilhelmshaven an, wo die „Burchana“ (Foto), das Forschungsschiff des Niedersächsischen Landesamtes für Ökologie („Forschungsstelle Küste“) an der Nassau-Brücke ihren Liegeplatz hat. Benannt ist die Burchana nach „Byrchanis“ – laut Plinius dem Älteren die berühmteste von 23 den Römern bekannten Inseln zwischen der Rheinmündung und Jütland. Dabei könnte es sich um eine ostfriesische „Großinsel“ gehandelt haben, die durch eine der „Jahrhundertfluten“ – die „Mandränke“ von 1362 oder die „Marcellusflut“ von 1219 – in vier Teilinseln (Borkum, Bant, Juist und Buise) zerrissen wurde. Dem Ostteil „Buise“ oder „Burchana“ entspricht danach die heutige Insel Norderney, Standort des Forschungsschiffes gleichen Namens. Mit seinen Abmessungen von 32 m Länge, 8 m Breite und einem geringen Tiefgang von etwa 1,5 m ist es für die Arbeit im Wattenmeer bestens geeignet. Die Burchana soll für die kommenden 6 Wochen unser Zuhause sein. In Wilhelmshaven tätigen wir in einem Supermarkt den Einkauf von Proviant für die kommenden Tage. Meinen Audi FT-VH-838 darf ich dank einer Sondererlaubnis unmittelbar an der Nassau-Brücke abstellen, so dass wir rasch unsere Vorräte ein- und ausladen können. Man muss die amtliche Bescheinigung sichtbar hinter die Windschutzscheibe legen, da sonst, wie mir der Hafenmeister erklärt, sogleich Touristen sich beschweren, dass es hier Sonderrechte gibt und kein Bußgeld erhoben wird.
Bei Nieselregen und schwachem Wind kommt eine Windwarnung für 6-7 Windstärken aus West. Für die kommenden Tage besteht die Schiffsbesatzung aus drei Seeleuten (Käpitän, Steuermann und Bootsmann) und dem Forschungsteam mit Hermann (Foto) als „Boss“, Maike (Foto), einer blonden, nordisch groß und stattlich gebauten BTA, sowie einer zierlichen Praktikantin und mir als ehrenamtlich tätige „Wissenschaftliche Hilfskraft“. Die Seeleute und wir organisieren jeweils separat die Verpflegung (Einkauf und Zubereitung). Alternierend ist in der überraschend komplett eingerichteten Kombüse jeder von uns – am Herd ebenso wie beim Abwasch – im Einsatz. Hermann und ich teilen uns eine mit einem Etagenbett ausgestattete, größere Doppelkabine. Die sanitären Anlagen – einschließlich Dusche - auf der Burchana sind über Erwarten komfortabel. Der spätere Abend findet Maike, Hermann und mich bei milder Witterung auf dem Deck des als Restaurant genutzten Ex-Feuerschiffs Weser; bei einem leckeren Essen: Scholle mit Granat (so heißen in Ostfriesland die leckeren Krabben), Speck und Bratkartoffeln.