2.6 Der Straßenhund (Elendshund)
Der „Straßenhund“, eigentlich richtiger als „herrenloser“ Hund zu charakterisieren, hat in der Regel vor seinem Dasein als Straßenhund einer der oben genannten, übrigen Kategorien angehört. Durch Krankheit oder Tod, durch Umsiedlung, Verarmung oder ganz einfach durch die Gedanken- und Gefühllosigkeit seines „Frauchens“ oder „Herrchens“ fällt er von einem Tag zum anderen aus der Geborgenheit des Hausgenossen in den Status eines geächteten, hungrigen, manchmal brutal misshandelten, getretenen und verscheuchten Straßenhundes; er ist im Sinne des Wortes „auf den Hund gekommen“, streicht hungrig an den Hauswänden entlang, ohne Heimstatt und einen Menschen als „Rudelführer“. Ungeachtet seiner weitgehenden Freizügigkeit hinsichtlich des ihm verfügbaren „Revieres“, ist der Straßenhund aufgrund der unzureichenden, ihm zugänglichen Ressourcen ein unfreier Hund, häufig von Unterernährung, Räude und Verletzungen gezeichnet.
Dass ein „Straßenhund“ jedoch nicht in jedem Fall einem „Elendshund“ gleichzusetzen ist, lehrte mich eine Begebenheit in der Sand-Algarve: Am Morgen von meinem Hotel bei Cabanas zu einer Tageswanderung aufgebrochen, schloss sich mir unversehens – wie selbstverständlich - ein mir völlig fremder, kleinerer, schwarz-weiß gemusterter Mischhund an. Den ganzen Tag über blieb er dicht an meiner Seite: freundlich, aber ohne Unterwürfigkeit. Zur Rast lagerte er neben mir, bekam seinen Teil meiner belegten Brote. Gelegentlich jagte er mehr spielerisch und ohne jeglichen Erfolg - einem Kaninchen nach oder unternahm am Rande des Weges eine kurze Sondierung im Gelände. Sein glattes Aussehen, sein ruhiges und gelöstes Verhalten, mit dem er mir den ganzen Tag als Begleiter - Angesicht zu Angesicht – begegnete, war das eines „glücklichen“ Hundes. Da ich weder im Hotel, noch darüberhinaus die Möglichkeit sah, den treuen Tagesbegleiter bei mir zu behalten, kamen mir bei der Rückkehr zum Hotel am frühen Abend kamen ernste Bedenken, ob ich das Vertrauen „meines„ Hundes nicht missbrauchte, wenn ich ihn am Hotel zurückließe. Umso überraschter war ich, als er vor meinem Hotel nicht einen Moment versuchte, mir weiter zu folgen, sondern – nach kurzem Verweilen – ohne jegliches Anzeichen einer enttäuschten Erwartung sich einfach abdrehte und in Richtung des Ortes davonlief. Sprach dieses Verhalten vielleicht für das unerklärliche Einfühlungsvermögen des Hundes, mir durch sein scheinbar gleichgültiges Weiterziehen die Scham zu ersparen, meinen unvermittelten Rückzug aus der Tagesfreundschaft rechtfertigen zu müssen? Die kommenden Tage jedenfalls ließ sich „mein“ Hund jedenfalls nicht wieder blicken. So bleibt einerseits die wertvolle Erinnerung an einen unvergesslichen, erlebnisreichen und unbeschwerten Tag, zum anderen aber die Ungewissheit, welches Schicksal „meinen“ Hund nach unserem glückhaften Zusammentreffen erwartete; und es bleibt ein schaler Rest des schlechten Gewissens.