Russland, 13.12.41
Kriegsweihnacht 1941 (grüne Tinte, Zeichnung: schräg liegender, gleichsam fallender Weihnachtsbaum mit 2 Kerzen, Stern und Kugel)
…Und ich danke Dir dafür, dass Du so fleißig schreibst. Das ist sehr lieb von Dir. Das Gebäck hat ganz prima geschmeckt. Hast Du das gebacken? Natürlich habe ich Schokolade und Zigaretten genau so freudig angenommen. Dein Onkel Albert ist ein Idiot. Früher wollte der so gut national sein, und heute ist er ein alter Meckerer. Der Krieg geht bestimmt nächstes Jahr aus. Und wir können dem Führer nur dankbar sein, dass er so gehandelt hat. Denn die Russen wollten bei uns ja einfallen. Dann hättet Ihr alle ausziehen gekonnt. Das sehen wir ja hier am besten. Wir sind ja gerade darauf stolz, dass kein Russe nach Deutschland gekommen ist. Was unserem Volke erspart geblieben ist, wissen wir am besten. Und solche Lumpen wollen zu Hause die Stimmung vergiften. Kannst Dich darauf verlassen, nächstes Jahr wird Schluss. Liebes Mandel ! Wegen dem dünnen Mantel, das ist doch nicht schlimm. Sieh’ mal, Du kannst doch im Warmen sitzen bleiben, wenn es draußen kalt ist. Denke doch mal an uns. Wir lagen fast 14 Tage in unseren Löchern, über 10° Kälte und hatten nicht mal unsere Mäntel. Die waren hinten beim Tross verladen. Und sind auch nicht gestorben. Wenn ich den Krieg überstehe, dann bekommst Du von mir einen schönen Pelzmantel und brauchst dann nicht mehr zu frieren. An eine Ferntrauung habe ich auch schon gedacht. Dass Du mir aber schreibst, mir würde an Dir gar nichts liegen, das ist sehr hässlich von Dir. Als ich das gelesen habe, war meine ganze Freude über die Post futsch. Ich könnte ja nun annehmen, Dir ginge es nur um eine Versorgung, und nicht um mich. Wenn man es richtig betrachtet, ist es doch so. Heute kann ich Dir darüber weiter nichts schreiben. Wenn ich in einigen Tagen noch lebe, dann kann ich Dir etwas genaues mitteilen. Jedenfalls bin ich nicht Schuld daran, dass wir noch nicht verheiratet sind. An Geld geht uns ja kaum etwas verloren, denn ich bekomme ja seit Anfang Februar jeden Monat 100,- M. Das beste wäre halt, wenn ich hier gut durchkommen würde. Dann gäbe es mal Urlaub und dann würde eben geheiratet…
Meine Mutter bekommt ja Zigaretten für mich. Und wenn Du mir keine mehr schicken kannst, bin ich Dir auch nicht böse. Wenn ich nichts habe, wird eben aufgehört. Wir müssen ja auf so Vieles verzichten. Da kommt er’s auf ein bisschen nicht mehr an. Die junge Frau von 21 Jahren hat eben Glück gehabt. Wenn deren Mann in Jugoslawien und Russland wäre, hätte er auch keinen Heiratsurlaub bekommen. u schreibst immer wegen dem Geld. Mein liebes Kind! Auf das Geld ist geschissen. Bei uns geht es um andere Dinge. Wir haben die Taschen voll Geld und
können uns dafür nichts zum Fressen kaufen. Du wirst nun wieder sagen, ach ist der Oskar kleinlich. Aber es ist nicht so. Ich nehme es Dir nicht übel, dass Du diese Sache mal angeschnitten hast. Aber unsere Stimmung und was wir hier schon alles erlebt haben, das könnt Ihr Euch nicht vorstellen. Frankreich und Jugoslawien war ein Dreck gegen hier. Wo ich bin, kann ich Dir nicht schreiben. Aber es geht „Krim“-mig zu. – Abgenommen habe ich auch schon. Und Du konntest ja früher nie dürre genug sein. Musst eben aus der Not eine Tugend machen. Hauptsache, wenn die kleider noch hängen bleiben. Ich hätte schon manches mal gerne ½ Kottelett gegessen. Es ist eben Krieg. Das darf man nie vergessen. – Du schreibst, im Radio hätten sie es dauernd von der Krim. Da musst Du immer gut aufpassen !!! Dir ist es zu Hause langweilig. Was wollen wir sagen. Tag um Tag und Nacht um Nacht im Erdloch liegen und sonst nichts als das Einschlagen der Granaten und das Pfeifen der Kugeln. Abends um 4 Uhr ist es dunkel und morgens gegen 8 Uhr wird es hell! Schlafen darf man nicht, sonst laufen einem die Russen bis vors Loch. Glaubst Du, dass das unterhaltend ist? Was Ihr zu Hause erdulden müsst, ist ja so klein und arm gegen hier. Ihr könnt es Euch eben nicht vorstellen. Schau mal auf der Landkarte nach, wo heute die deutschen Truppen stehen. Und rechne dann mal rüber gegen Westen. Wenn wir so weit zurückgehen gemusst hätten, kannst Du auf der Karte sehen, dass Ihr ausziehen gekonnt hättet. Das dürft Ihr nicht vergessen. Da wäre nichts ganz geblieben. Und diese Lumpen hätten auch nicht vor Frauen und Kindern Halt gemacht. Nun habe ich Dir wieder allerhand zusammengeschrieben. Trotzdem nehme ich an, dass Du mich verstehst….