Kosmovision,Religion, Mythen und Mysterien der Wayúu
Die „Kosmovision“- als „Weltanschauung“ nur unzureichend zu übersetzen – basiert auf der besonders starken Verbundenheit der Wayúu mit den Lebewesen, vor allem der Tierwelt. Besonders die in der Guajira heimischen, das tägliche Leben begleitenden Vögel spielen in der Mystik und Mythologie der Guajira eine wichtige Rolle. Die Guajira ist den Wayúu heiliges Territorium. Sie kennen die Rufe der Vögel: den Arañero cabecirrufo (4), den Fliegenschnäpper Atrapamoscas pechirrayado, den Papayero (5) oder die Uferschwalbe Golondrina barranquera. Auch in der modernen Kunst wird das „mythische und kosmogonische Universum“ thematisiert: So trägt ein Bild des Wayúu-Malers und Denkers Guillermo Ojeda Jayariyú den Titel „Schwelle der eigenen Träume“ (Ojuialiija Walapüin,, „Umbral de los sueños propios“). Für die Wayúu liegt in überlieferten Hieroglyphen die „Kraft der Spuren“. Es heißt, dass einst die Tiere – wie z.B. die Kuh und die Hühner – aus dem Meer hervorkamen. Das Volk ist reich an profanen und sakralen Mythen und Legenden, in denen Tiere und – gute wie böse – Geister oder Schreckgespenster eine besondere Rolle spielen. In der 1000-jährigen Kultur der Wayúu werden die Mysterien und Mythen der Stammesverbände von Generation zu Generation in Sakral-Ritualen wie dem „velario“, einer Totenfeier, und anderen familiären Feierlichkeiten weitergegeben. Eine Bestattungsfeier, bei der auch die „chichamaya (6)“ getanzt wird, kann bei den Wayùu bis zu 40 Tage dauern. Vermittler transzendentaler Visionen sind die Schamanen, die mit den Jaguaren, mit ihrenToten, mit dem Mond, mit dem Fluss, mit den Vögeln zu sprechen wissen; dazu erklingt der Ton der „katza“, der traditionellen Flöte des Wayúu-Volkes. Geweihte Stoffe sind Hauptattribute von Frauen wie auch von Männern, und haben in der Guajira-Kultur einen hohen Stellenwert. Das Wohlergehen im Leben wird verstanden als Harmonie zwischen dem sozialen und dem naturbezogenen Umfeld; demgemäß entstehen Krankheiten aus einem Ungleichgewicht dieser Zustände. Die Wayúu führen derartige Störungen auf die Einwirkung externer natürlicher oder übernatürlicher Kräfte auf den Körper (ataa) und die spirituelle Wesenheit (aa’in) – man könnte auch sagen: die Seele – des Wayúu zurück Der Geist verbindet die Extreme der übersinnlichen Sicht mit dem täglichen Gang des Geschehens; er gibt dem Abstrakten und dem Übersinnlichen Gestalt. Das Trugbild erscheint als Widerschein des unergründlichen menschlichen Innenlebens, als ein Zeugnis der fantastischen Welt des Unsichtbaren, die uns umgibt. Im Volk der Wayúu entstammen die „Schreckgespenster“ der Welt des Gefürchteten, des Geheimnisvollen, des Geheiligten: „Pulashi“ oder „Pulasú“, das „Tabu“. Es sind die Phänomene, deren Kräfte diejenigen gewöhnlicher Wesen übertreffen, die verseucht und gefährlich sind. Sie können in Gestalt anthropomorpher Wesen, eines Tieres oder eines Gegenstandes auftreten und bewirken spektakuläre Symptome wie heftige innere Schmerzen, blutigen Urin, Ohnmacht und Erregungszustände. Jede dieser Krankheitem, so glaubt man, kann den Tod bewirken, bzw. – nach Wayúu-Deutung – den endgültigen „Austritt der Seele“, des aa’in, aus dem Körper. Das aa’in gelangt zur Insel Jepira, wo der Wayúu die Gestalt eines „Jolujaa“ annimmt, eines Spektrums – und weiter führt der Weg auf der „Straße der toten Indios“ in Richtung Milchstraße. Außer die Unversehrtheit des Körpers zu schädigen, ihn zu durchdringen und zu verseuchen, schreibt man allen diesen durch den Geist „Wanulu“ verursachten Krankheiten die Fähigkeit zu, auf die Seele (aa’in) einzuwirken und die Desorientierung, das Umherirren des Betroffenen zu verursachen. Bei einer Begegnung mit einem dieser Erscheinungen die für „Pylashi“ oder „Pulasu“ gehalten werden, kommt der „Piachi“ (männlich: „Outshi, weiblich:„Outsu“) zur Geltung: der Piache stellt die Diagnose und schafft die Verbindung zur übernatürlichen Welt. In diesem Zusammenhang steht auch der Begriff des „Pulowi“ , das die übernatürlichen, Furcht erregenden Phänomene verkörpert. Der Wayúu-Dichter Vito Apushana umschreibt dies so: „…wir, die Menschen, sind leichtfertig, und um die Welt nicht zu missbrauchen, gibt es Pulowi: das Geheimnis, die Vernichtung. Pulowi ist nicht schlecht… Pulowi ist deine Angst… ist deine Zerfressenheit… ist die Blume, die in der Nacht erscheint“. Als ein gutes Zeichen gilt zum Beispiel die Begegnung mit einer der „blinden“ Schlangen, ein schlechtes Zeichen dagegen, wenn es sich um eine Boa handelt; denn die Boas erscheinen manchmal als die Inkarnation von Pulowi in Gestalt einer Art „Überfrau“. Sie gilt als schlechte Frau, die über dunkle und unheilvolle Kräfte verfügt. Pülowi bewohnt Zonen mit dichter Vegetation, die im gesamten Territorium der Wayúu zu finden sind. Pulowi ist verbunden mit der trockenen Jahreszeit, dem Wind und der Erde; sie ist dadurch auch eindeutig verknüpft mit Mangel, Hunger und Not, letztlich auch verantwortlich für den Tod. Pulowi kann – vergleichbar einem Pathogen – bestimmte Stellen kontaminieren, die dadurch zu Quellen tödlicher Krankheiten werden. Ähnlich wie in der altweltlichen Mythologie z.B. die Sirenen oder die Loreley, zieht Pülowi die Männer zunächst in der Gestalt einer schönen Frau an: eine Wayúu mit langem schwarzem, bis an die Hüften reichendem Haar; machmal weiß gekleidet oder in auffälligen Farben (Benjamin Jacanamijoy Tisoy, Atí Seygundiba Quigua, Teolinda Fajardo Epinayú). Dem Mysterium Pulowi sind etliche Trugbilder der Wayúu zugeordnet: die Akalapui, die Keeralia, die Murula, die Kuatyai, die Yulöuja, die Wanuru…. Häufig sind es Transfigurationen zwischen Mensch und Tier: so wie die Eulen-Frau, die Ameisen-Frau, der auf dem Pferd Reitende (shaneta), der Jaguar-Mensch (Epeyui); hinzu kommen Schreckgestalten wie der „Einbein“ (Waneesatal) oder die verschlingende Alte (la Chama).
Einige junge Guajiros, in erster Linie. der inzwischen weit über Kolumbien hinaus bekannte „Hirten-Dichter“ Vito Apüshana ( → „Regenbogen – Gedichte und Erzähltes aus der Guajira, über und von Vito Apüshana“, demnächst bei volker.harries), haben die Aufgabe und die Verantwortung übernommem, die seit Jahrhunderten mündlich überlieferte Kultur der Wayúu heute wieder zu beleben.