Rückkehr: wieder im Frühling auf Hiddensee
29.05.05: Der ICE von Mannheim nach Hamburg Hbf. – welch eine Überraschung – hat es mit nur einer Minute Verspätung geschafft! Ein IC führt mich zunächst über Schwerin und Bad Kleinen, wo mir Dohlen auffallen, die am Bahnhof ihre sozialen Kontakte pflegen. Zuvor zeigt sich während der Fahrt in einer kleinen Flachwasser-Senke inmitten weitläufiger Wiesen ein ♂ der Rohrweihe. Weiter geht es durch Blankenberg, Bützow nach Rostock; dann passieren wir Gelbensande und Ribnitz-Damgarten, bis der Zug schließlich in Stralsund einläuft; und wieder die Überraschung: die Ankunft ist nur schlappe 5 Minuten hinter der Fahrplanzeit! Fast den ganzen Tag bleibt es sonnig; erst am Stralsunder Hafen ziehen gegen 18 h im Westen dunkle Wolken auf, die eine Vorahnung geben, was da kommen mag. Ein freundlicher Taxi-Fahrer, der im heimatlich klingenden Tonfall das aktuelle Wettergeschehen kommentiert, hat mich mich für 5 € an den Hafen transferiert. Auch am Hafen begleiten mich die überaus sozial veranlagten Dohlen. An der Pier stolzieren sie auf den Granitpflastersteinen umher, halten – ebenso wie Krümel sammelnden Sperlinge – nach Essbarem Ausschau, um dann unvermittelt aufzufliegen und in einer 10er Gruppe an den Giebeln der gegenüber dem Hafen gelegenen Bürgerhäuser aus rotem Backstein ihre wilden Flugmanöver auszuführen. In rasantem Flug stürzen sie steil abwärts, umkurven Erkersimse und schrauben sich unvermittelt wieder in der Höhe. Bald naht das Fährschiff, dessen Fahrt in Neuendorf – also am Südzipfel von Hiddensee – endet. Hier ist zum Glück für eine rasche Weiterfahrt nach Kloster, an das Nordende der Insel, gesorgt. Zusammen mit anderen Passagieren lege ich die letzte Etappe von Neuendorf nach Kloster im schnellen Wassertaxi zurück, einem Motorboot für 10-20 Passagiere. Nun schlägt die Wetterlage endgültig um: im Westen zieht eine schwarze Wolkendecke auf. Und wieder fügt es sich gut: nach der Ankunft in Kloster, als ich mit meinem schweren Rollkoffer den sandigen Weg vom Anleger in Kloster bergauf zur Pension „Inselidyll“ einschlage, spricht mich ein freundlicher „Klostermann“ an. Seinen Vornamen, mit dem er sich mir vorstellte, ist meiner Vergesslichkeit anheimgefallen. Ohne Zögern bietet er mir an, meinen Koffer auf seinem Fahrrad zur Pension zu transportieren, und mir ist diese freundliche Geste durchaus willkommen. Klaus, so nenne ich ihn einfach (er wird es mir nachsehen) bleibt mir in bester Erinnerung; in den Folgetagen begegne ich ihm noch mehrfach, und wir halten einen kurzen Schnack; er scheint rundum zufrieden. Als Zugewanderter, wohl „erst“ seit 15 Jahren auf der Insel, hat er sich das idyllische Kloster als Refugium für den frühen Ruhestand erwählt. Jetzt gehört er, wie so manch andere Anwohner von Kloster, denen ich täglich begegne, für mich zum „lebenden Inventar“ des einstigen ‚Reiches’ von Gerhart Hauptmann. Dem Dichter Thomas Mann (und ebenso seiner Frau) behagte es bei seinen Aufenthalten in Kloster übrigens ganz und gar nicht, dass Gerhart Hauptmann hier auf der Insel als Persönlichkeit des öffentlichen Interesses das Feld beherrschte und „Hof hielt“. So missfiel Thomas Mann besonders, dass er im Gasthof, in dem auch Hauptmann wohnte, im allgemeinen Esssaal mit den gewöhnlichen Speisen Vorlieb nehmen musste, während Hauptmann speziell zubereitete Gerichte auf sein Zimmer geliefert bekam. Auch große Dichter zeigen also ihre kleinen (und größeren) menschlichen Schwächen! Doch zurück zu ‚Klaus’: Er scheint etwas jünger als ich, ist fast immer mit seinem Fahrrad unterwegs, und bei bester Laune. Später am Abend treffe ich ihn in dem gut besuchten, unmittelbar am Dornbusch gelegenen Restaurant „Zum Kleinen Inselblick“ und lade ihn zu einem Bier ein. Die Wände sind vollgehängt mit Bildern, gemalt von verschiedensten Malern in unterschiedlichen Techniken. Auch die Sujets und die Qualität der Bilder sind weitgespannt; unter anderem sehe ich an der Wand über mir auch zwei Frauenakte des Engländers Lance Beeke, den ich im Laufe meiner Aufenthalte noch besser kennen lernen sollte. Man kann hier jedes beliebige Bild abhängen, für einen meist recht günstigen Preis erwerben und gleich mitnehmen. Das Lokal liegt nur wenige Minuten oberhalb der Pension „Inselidyll“, die für 13 Tage zu meinem Domizil wird. Die Lage ist fast ideal, unmittelbar am SW-Hang des als „Dornbusch“ bekannten Hügellandes im Nordteil von Hiddensee. Mein erster abendlicher Gang auf den Höhenrücken ist überwältigend: aus verschiedenen Buschgruppen erschallt der unterschiedlich strukturierte Gesang von mindestens drei Sprossern. Bei den Gesängen des Sprossers, des östlichen „Vetters“ der Nachtigall, ist nicht zu überhören, dass die melancholischen, lang gezogenen Töne der Nachtigall in seinem Repertoire fehlen. Die Gesangsstrophen der „pommerschen Nachtigall“ klingen deutlich härter, weniger fließend. Auch ein Kuckuck ruft noch, und bei Beginn der Dämmerung jagen Fledermäuse – eine kleinere Art, vielleicht das Mausohr, und eine größere Art von der Größe des Abendseglers – über den in voller Blüte stehenden Ginsterbüschen, die sich bis hinauf zum Waldrand ziehen.