03.05.92: Morgens nur 8°C, bis zum Nachmittag stärker bewölkt, dann sonnig mit Wolken, bei kaltem Wind. Im Radio, auf dem Deutschlandsender: „Nun danket alle Gott“, und die Bachkantate „Ich bin ein guter Hirt“, dargeboten vom Orchester des Bachkollegiums Stuttgart. Heute folge ich dem Deich, am Fastbüllen-Haken entlang; linker Hand „der See“, weitere am Prerower Hafen und dann vor dem zweiten See westwärts zum „Lübker Ort“. Dort, am abgelegenen, Binnensee, soll Störtebeker, der „Likedeeler“, sein letztes Versteck gefunden haben. „Likedeeler“ („Gleichteiler“) wurde er genannt,l da er die bei Raubzügen gemachte Beute zu gleichen Teilen unter seine Mannschaft aufgeteilt haben soll. Bewachsene ehemalige Wallanlagen am rechten Ufer des Prerow-Stromes bezeichnen die Hertesburg, das „Olle Slat“, wo 1464 ein Vogt der Hertesburg und drei Seeräuber von den Stralsundern geköpft wurden. 1532 war von der Hertesburg nur noch ein viereckiger, von einem Wall und zwei Gräben umgebener Turm erhalten, der zu dieser Zeit noch bewohnt war. 1696 findet sich auf einer schwedischen Karte die Burganlage als „Hassenborg“ eingezeichnet; ein großes Viereck, zu zwei Seiten von einer Weide umgeben und durch einen Wasserlauf mit dem Prerower Strom verbunden.
Gen Südwesten nach Wieck zurück. An Vogelarten registriere ich: >20 Blässgänse, 8-10 Graugänse, 10 Brandgänse, zahlreiche Stockenten, ca. 40 (20/20) Löffelenten, 10 (5/5) Schnatterenten, 10 (5/5) Bergenten auf dem Bodden, 6 (3/3) Spießenten, einzelne Reiherenten, 2 Austernfischer, zahlreiche Kiebitze auf den Feuchtwiesen und zwischen ihnen einzelne Paare Rotschenkel sowie 1 Grünschenkel. Außerdem mehrere Flüge durchziehender Kleinlimikolen. An Singvögeln notiere ich Schafstelze und Steinschmätzer auf dem Durchzug, Feldlerche als die wohl häufigste Art; außerdem Bluthänfling und – zu meiner Überraschung im Wiesenbiotop – den Buchfinken; auch die Rohrammer ist vertreten, während Gold- und Grauammer hier zu fehlen scheinen. An Taggreifen gibt es neben dem Mäuse- und dem Wespenbussard den Turmfalken und den Rotmilan. Aufgefallen sind mir auf dem Darss einige sehr helle, fast weiße Bussarde.
Herr M. hat mich nach dem Abendessen zur Pirsch in sein Revier eingeladen. Vor dem abendlichen Gang zum Hochsitz serviert uns seine Frau ein opulentes Abendessen: zwei große, saftige Batzen Wildschweinbraten mit Preiselbeeren, Kartoffeln, Grünen Bohnen und leckerer Bratensauce; als Nachtisch Quarkspeise mit Beeren. Nach dem Zander ist dies der zweite Leckerbissen à la M., und auch das Frühstück ist stets ein rechter Tagesbeginn! Nach dem Essen, vom frühen Abend bis gegen 23 Uhr , begleite ich Herrn M. in seinem Revier. Nach nahezu einer Stunde schweigenden Wartens (nicht einmal rauchen kann man!) auf dem Hochsitz tritt Rotwild aus dem Wald, verharrt zunächst am Waldrand, und wechselt dann auf die Waldwiese hinaus; erst sind es wenige, dann werden es immer mehr: Junghirsche, die noch keine neuen Stangen geschoben haben, und andere, die bereits ein weitgehend entwickeltes, vom wolligen Bast umhülltes Geweih tragen. Inzwischen sind die letzten Amseln und Rotkehlchen verstummt. Da lässt sich – nur ein einziges Mal – das dunpfe „Quorren“ einer Waldschnepfe hören. Dann legr sich Stille über den Waldrand und die Wiese. Kälte schleicht sich langsam in die Knochen. Rocky, der mir inzwischen vertraute und – nach meinen früheren schlechten Erfahrungen mit Hunden unerwartet – freundlich gesinnte Kleine Münsterländer von Herrn M., liegt neben uns auf dem Holzboden. Mit seinen klaren Augen schaut er anhaltend aufmerksam zu mir hoch. Obwohl er ein sehr lebhaftes Naturell hat, verharrt er die lange Zeit während des Ansitzens nahezu regungslos und ohne jeden Laut. Man sieht: es fällt ihm nicht leicht, doch offensichtlich weiß er, worum es hier geht. Als wir schon fast absteigen wollen, rückt nach und nach eine kleine Rotte Schwarzwild aus der Deckung. Herr M. bringt seine Doppelflinte in Stellung. Als ein mittelgroßer Überläufer in günstiger Schussposition steht, durchbricht sein Schuss die abendliche Stille. Hinter den Schultern hat die Kugel ein tödliches Loch gerissen.